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"Wie, du warst noch nie in Ghana???!!" |
Mein Vater baut ein Haus
in Ghana. Es soll für seine Töchter sein, für mich und meine
Schwester. Damit wir immer ein echtes Zuhause haben, wenn wir nach
Ghana kommen. Eigentlich hat mein Vater das Haus auch schon fertig
gebaut. Aber seine Schwester ist dort eingezogen mit meinen zehn
Cousinen und Cousins. Darum baut mein Vater jetzt ein zweites Haus –
und das schon seit Jahren. Bauarbeiten dauern in Ghana eben länger,
vor allem, wenn der Bauherr nicht immer anwesend ist.
Das alles wäre ja kein
Problem, aber meine Schwester und ich, wir haben unsere zehn Cousinen
und Cousins noch nie kennen gelernt. Genauso wenig unsere Tanten und
Onkel oder unsere Oma in Ghana. Der Opa ist vor Jahren schon
gestorben. Wir kennen diesen Teil unserer Herkunft nicht, da wir noch
nie in Ghana waren. „Erst, wenn das Haus fertig ist!“ So lautet
die Devise meines Vaters. Er möchte für seine Töchter alles so
perfekt wie möglich haben, bei ihren erstem Besuch in seinem
Heimatland. Dabei übersieht er völlig, dass wir das gar nicht
wollen. Ihm ist es wichtig und darum müssen wir warten.
Natürlich hätten meine
Schwester und ich längst alleine fliegen können. Andere Bekannte
und Verwandte haben uns auch schon mehrmals angeboten mit ihnen nach
Ghana zu fliegen. Aber wir möchten ja gerne mit unserem Vater dort
hin. Und so warten wir – schon unser Leben lang.
Je älter wir jedoch
werden, desto mehr fangen wir an, uns mit unserer Identität
auseinander zu setzen. Wer sind wir eigentlich? Hier in Deutschland kommt es ja immer wieder
vor, dass Menschen, die mich nicht kennen, von mir erwarten, dass ich
einen besonderen kulturellen Hintergrund habe. Wenn sie dann
erfahren, dass ich eigentlich kaum etwas weiß von Ghana, reagieren
sie geschockt. Ich bin dann nicht das, was sie erwarten. Was auch mit
der Zeit immer mehr nervt, sind Leute, die im Grunde mit Ghana nichts
zu tun haben, dort aber schon waren. Kommilitonen in der Uni zum Beispiel oder Menschen im Bekanntenkreis. Wenn die dann ihre tollen Storys aus diesem Land
erzählen, kann man schon manchmal neidisch werden. Dann will man gar
nicht zuhören und denkt sich „Warum waren die schon da und ich
nicht!“ Man fühlt sich unvollständig, weiß oft nicht wo man sich einordnen soll. Als ob man irgendwo hingeht, aber nie am Ziel ankommt. Eine scheinbar endlose Identitätssuche. Eine tief verborgene Sehnsucht.
Dieses Jahr hätten wir
unseren Vater fast soweit bekommen, dass er uns mitnimmt. Aber er hat
uns erneut auf nächstes Jahr vertröstet. Er fliegt im Sommer
wieder alleine und hat uns versprochen 2013 dürfen wir endlich mit.
Dann soll das Haus endlich fertig sein.
Mit unserem Vater nach Ghana zu fliegen ist uns sehr wichtig. Es würde sich einfach nicht richtig anfühlen, die Reise auf eigene Faust anzutreten. Auch das gehört zu dem Prozess der Identitätsfindung dazu. Die Reise mit dem Vater zu machen. Also sind wir gespannt und setzen
uns im Stillen das Ultimatum 2013. Dieses Jahr fliegen wir dann halt
in die USA.
Labels: Ghana, Identität, Krausekultur