"Diese Dinge geschehen nicht einfach so" - eine Buch-Review von Krauselocke Johanna Lukate.
Anfang April
erschien in der New York Times (siehe
http://www.nytimes.com/2014/03/16/opinion/sunday/where-are-the-people-of-color-in-childrens-books.html?_r=0)
ein Artikel, der sich mit der Frage beschäftigt, wo die Charaktere
mit afrikanischen Wurzeln in Kinderbüchern sein. Ein guter
Ausgangspunkt um euch den Roman Diese
Dinge geschehen nicht einfach so
vorzustellen. Dies ist der Debütroman der amerikanischen Autorin
Taiye Selasi, die ghanaische und nigerianische Wurzeln hat.
Der Roman beginnt
mit dem unerwarteten Tod des Familienoberhaupts Kweu Sai in Ghana. Im
Sterben erinnert sich Kweu an seine Familie. Das sind seine vier
Kinder und seine erste Frau Fola. Die Familie Sai ist eine
zerbrochene Familie, die am Scheitern des Vaters zersplittert ist,
weil dieser mit dem Ende seiner glanzvollen Karriere als Arzt nicht
klar kam. Und so kommt es, dass der Vater mit seiner zweiten Frau in
Ghana lebt, während die Kinder – Olu, Taiwo, Kehinde und Folasadé
– in Amerika und Europa leben.
„Er wollte
irgendwie seine eigene kleine Geschichte aus den größeren
Geschichten herauslösen, den Geschichte von Vaterland, Armut und
Krieg, die sämtliche Geschichten der Menschen in seiner Umgebung
verschlungen hatten um diese Menschen dann als gesichtslose,
namenlose Dorfbewohner wieder auszuspucken, als mickrige Rädchen im
Getriebe. Die Möglichkeit, sich zu lösen und zu fliegen, auf dem
winzigen Boot, der S. S. Sai, vor sich als Ziel die enorme Weite –
und die Kleinheit – eines Lebens ohne Not. „ [S. 118]
Der Tod des Vaters zieht sich über die ersten hundert Seiten des Buches. Die Perspektiven wechseln, zwischen dem Vater und den anderen Familienmitgliedern und zwischen der Gegenwart und den Erinnerungen des Vaters: die Geburt seiner Kinder, der Erfolg und Sturz als Arzt, dem Verlassen der Familie und dem Bruch. Die eigentliche Handlung beginnt nach dem Tod des Vaters, wenn die Familienmitglieder vom Tod des Vaters erfahren. Spannungen und Konflikte kommen an die Oberfläche, während sich die Kinder auf die Reise zur Mutter nach Ghana machen, um den Vater zu begraben. Die Handlung selbst ist minimal, und der Fokus der Erzählung liegt auf den Ereignissen der Vergangenheit, den Konflikten und Schicksalsschlägen, die die Familie Sai ausmachen. Es geht um die Schicksale eines jeden einzelnen Familienmitglieds und wie alle miteinander verbunden sind. Olu, der Älteste, der Arzt geworden ist und versucht dem Vorbild seines Vaters zu folgen. Die Zwillinge, Taiwo und Kehinde, die vom Onkel missbraucht wurden und jahrelang nicht mehr miteinander gesprochen haben. Und Sadie, kurz für Folasadé, das ’Baby‘, die in ihre beste Freundin verliebt ist und mit einer Essstörung kämpft.
Der Tod des Vaters bricht das lange Schweigen zwischen den Geschwistern und der Mutter. Und dennoch ist das Schweigen, die Sprachlosigkeit, das große Problem des Romans. Zu vieles wird angedeutet und erwähnt, um dann zwischen den Zeilen zu verharren. Selasis Versuch den traditionellen Diskus um Ethnizität und Sklaventum zu verlassen, wirkt konstruiert, angesichts des Erfolgs der Romanfiguren. Kweu und später seine Kinder werden als hochintelligente Studenten dargestellt, die an Eliteuniversitäten wie Yale und Oxford studieren, und mit Auszeichnungen und Stipendien überhäuft werden. Sie wirken daher manchmal – trotz ihres Scheiterns und ihrer Schwächen – zu erfolgreich. Da sind der Erfolg des ältesten Sohnes als Arzt und Taiwos Erfolg als Maler und Künstler. Aber auch Kehinde, Taiwos Zwillingsschwester, die mit einem Rhodes-Stipendium in Oxford studierte, um im Anschluss Jura an der Columbia zu studieren oder Sadie, die in Yale studiert. Erfrischend normal und bodenständig wirkt da die Mutter, die einen Blumenladen aufmacht nachdem ihr Mann sie und die Kinder verlassen hat, um die Familie über Wasser zu halten.
Aber gerade dieses Verlassen des traditionellen Diskurses macht den Roman so unglaublich lesenswert. Auch wenn der Roman nicht ohne den Diskurs um Ethnizität und Identität auskommt, so führt er diesen doch auf einer anderen, auf einer erfrischenden, neuen Ebene. Es ist das Loslassen und Zurücklassen der Vergangenheit und der Fokus auf die Gegenwart, auf das Leben von Afrikanern – wenn auch einer privilegierten Elite – im 21.Jahrhundert, die Selasis Roman auszeichnen und besonders machen.
Johanna Lukate
(Jg. 1990) studierte Kulturwissenschaften an der Fernuniversität
Hagen. Aktuell studiert sie Politikwissenschaften, Psychologie und
Soziologie an der University of Cambridge.
Für KrauseLocke schrieb Johanna 2012 regelmäßig die Kolumne "Metropolis" und Beiträge zum Thema "Hautpflege".
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Labels: Krausekultur